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Autismusgedanken - Teil II

Ich habe mich vor einiger Zeit schon mal kritisch zu Autismus geäußert, da es meiner Meinung nach eine Modediagnose ist. Was natürlich nicht bedeuten soll, dass es die Erkrankung nicht gibt. Im Gegenteil. Der Grund, warum auf einmal so mit Diagnosen um sich geschmissen wird, hat meiner Ansicht nach unterschiedliche Gründe. 

1.) Immer mehr Serien beschäftigen sich mit vorurteilbehafteten Stereotypen von Autismus. Sei es die Serie Atypical oder Big Bang Theory. Immer sind es superschlaue Typen mit mangelndem Sozialverhalten, aber ausgeprägtem Können in irgendeinem Gebiet.

2.) Eltern, die berufstätig sind bzw. sein müssen. Dadurch geht viel Familienzeit flöten, die Kinder beschäftigen sich massiv mit Medien (Handy, Fernsehen, Computer), die kaum Konzentration erfordern. Durchhaltevermögen, Konzentration und reflexiver Umgang mit den Medien? Fehlanzeige.

3.) Es gab in den letzten Jahren eine Ausweitung der diagnostischen Kriterien, verbesserte diagnostische Methoden, verbesserte therapeutische Angebote und eine Diagnose ist die  rechtliche Voraussetzung für Fördermaßnahmen, wodurch die Prävalenzrate erhöht wird.

 

Zu den Symptomen zählen:

1. Allgemeine soziale Beeinträchtigung

2. Keine Flexibilität

3. Schwierigkeiten, Blickkontakt herzustellen

4. Spezielle Interessen, die manchmal zur Besessenheit werden

5. Unangemessenes Handeln

6. Höchste Empfindsamkeit

7. Mangelnde Fähigkeit der Selbstwahrnehmung

8. Sie brauchen Hilfe

 

Man stelle sich mal eine Grundschulklasse vor und überlege, wie viele dieser wenig differenzierten Punkte auf eine Vielzahl von Kindern zutrifft.

 

Oder soziale Beeinträchtigungen:
• Mangelndes Bewusstsein für Menschen, soziale Ereignisse, für Zeit und Ort

• Sie leben im Hier und Jetzt oder Lichtjahre entfernt

• Kein Gespür für kommende Momente

• Auf ihre eigene Sichtweise fixiert

• Benötigen Hilfe, um sich der Gedanken und Sichtweisen anderer Menschen bewusst zu werden

• Häufig ungeschickt, es fehlen soziale Kompetenzen

 

Das beschreibt mich mit ca. sieben Jahren eigentlich ganz gut.

 

Ich möchte auf keinen Fall sagen, dass diese Symptome einfach nur auf ein schüchternes Kind hindeuten, dass einfach noch viel lernen muss im Umgang mit der großen weiten und erwachsenen Welt, aber ich sehe das Problem, dass die Kernsymptomatik nicht ganz abgegrenzt werden kann von anderen Krankheiten und diese sehr schwammig formuliert sind (wie der erste Autismusforscher auch mehrmals betont und sich immer wieder um eine Abgrenzung bemüht hat, ohne erfolgreich zu sein).

Autismus wird als Behinderung eingestuft und geht daher mit immensen Beeinträchtigungen einher (Ein diagnostizierter Autist kann beispielsweise kein Konto eröffnen und verwalten und wird deswegen niemals komplett selbstständig leben können). Bei 3 von 10 Fehldiagnosen sind die Folgen katastrophal!

Ein Grund dafür könnte auch der mangelhafte Prozess zu einer differenzierten Diagnose sein. Wieso darf medizinisches Fachpersonal, jedoch nicht zwingend eine Spezialklinik eine Diagnose stellen? Warum werden aufwendige und deswegen leider auch teurere Diagnosefindungen nicht mehr unterstützt?

 

Mir steht es nicht zu, Pädagogen, Mediziner und/ oder Eltern zu kritisieren, aber ich kann meinen Umgang reflektieren.

Die Anforderungen an Lehrer sind gestiegen, es ist immer was zu tun und natürlich ist eine angepasste, ruhige Klasse ein Geschenk, weil man so viel besser den Unterricht durchziehen kann, weniger Probleme hat, als wenn man ständig irgendwem sagen muss, dass er oder sie ruhig sitzen soll.

Auch wenn das System es so vorsieht: wollen wir ruhige, angepasste Schüler, die sich ihrer Rolle ergeben und den Weg des geringsten Widerstands wählen?

Wir sollten uns bewusst werden, dass wir nur einen Teil des Kindes sehen, wir haben es nur in einem (oder zwei Fächern), wir sehen nicht, wie es sich in einem anderen Unterricht verhält, wir sehen nicht die anderen Faktoren: wie sehr wird das Kind in seiner Freizeit gefördert? Aus was für einem Elternhaus kommt es? Gab es eventuell Schwierikeiten in der Familie (z.B. Trennung der Eltern, Streit zwischen Familienmitgliedern) oder den Freunden (Mobbing, Streit, etc.).

Und diese Dinge sehen auch Ärzte nicht.

 

 

Eine vorschnelle Diagnose ist lebenseinschneidend bei den Kindern und eine falsche Diagnose hat Folgen, die nicht immer positiv sind. Eine Diagnose rückgängig zu machen, ist schwierig. Und eine falsche Diagnose ist unfair gegenüber denen, die wirklich Autismus haben. Autismus wird nicht mehr ernstgenommen, Kinder gehen völlig unter oder dringend benötigte Fördermöglichkeiten können aufgrund der begrenzten Kapazitäten nicht wahrgenommen werden. Dabei haben neueste Studien ergeben, dass individuelle Fördermöglichkeiten den Betroffenen des Autismus-Spektrums so sehr helfen können, dass sie im Erwachsenenalter selbstständig leben könnten.

 

Quellen:

·         Autismus Deutschland e.V., Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus (Hrsg.) (2013): Inklusion von Menschen mit Autismus, Karlsruhe : Loeper Literaturverlag.

·         Göppel, R. & Rauh, B. (Hrsg.) (2016): Inklusion : idealistische Forderung, individuelle Förderung, institutionelle Herausforderung, Stuttgart : Verlag W. Kohlhammer.

·         Kastner-Koller, U., Rollett, B. (Hrsg.) (2018): Praxisbuch Autismus : für Erzieher, Lehrer, Psychologen, Therapeuten und Eltern, München : Elsevier.

·       Kiel, E.(Hrsg.) (2015): Inklusion im Sekundarbereich, Stuttgart : Kohlhammer.

· Theunissen, G. (2014): Menschen im Autismus-Spektrum : verstehen, annehmen, unterstützen ; ein Lehrbuch für die Praxis, Stuttgart : Kohlhammer.

· Theunissen, G. (2016): Autismus verstehen : Außen- und Innensichten, Stuttgart : Verlag W. Kohlhammer.

 

·         http://www.scheel-schule.de/Dokumente/2017/Asperger.pdf